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Wie wirkt sich der erwartete Preisanstieg beim US-Erdgas auf Europa aus?

Die USA genießen derzeit deutlich niedrigere Erdgaspreise im Vergleich zu Europa, das auf teure Importe angewiesen ist.

Es zeichnen sich jedoch Entwicklungen ab, die sowohl US-amerikanische als auch europäische Unternehmen und Verbraucher beunruhigen könnten.

In den USA ist Erdgas deutlich günstiger als in Europa, da die Amerikaner sich selbst versorgen können, während die Europäer auf teures verflüssigtes Erdgas (LNG) angewiesen sind. Der Fondsmanager Adam Rozencwajg prognostiziert, dass sich die Gaspreise auf beiden Seiten des Atlantiks im Laufe des Jahres angleichen könnten. Dies würde bedeuten, dass US-Erdgas dreimal so teuer wird wie derzeit. Dies könnte die Energiesicherheit in Europa gefährden.

Rozencwajg ist Geschäftsführer des in New York ansässigen Vermögensverwalters “Goehring & Rozencwajg”, der sich auf Rohstoffe spezialisiert hat und rund 800 Millionen Euro verwaltet. Er erläutert, warum er an einen deutlichen Anstieg des US-Gaspreises glaubt, während andere Experten diese Prognose skeptisch betrachten.

Bevor Russland die Ukraine angriff, war Europa stark von russischen Erdgaslieferungen abhängig. Jetzt müssen Deutschland und die EU auf alternative Lieferanten wie die USA zurückgreifen. Laut der US-Energiebehörde “EIA” kamen 2023 etwa die Hälfte aller europäischen LNG-Importe aus den USA, während dieser Anteil 2021 noch bei 27 Prozent lag. Die USA verfügen über ausreichende Gasreserven für den Eigenbedarf - im Gegensatz zur EU. Daher unterscheiden sich die Marktpreise erheblich: Während in den USA Gas für knapp 8 Euro pro Megawattstunde gehandelt wird, kostet die gleiche Menge verflüssigtes Gas in Europa, das über die Amsterdamer Börse TTF gehandelt wird, mehr als 31 Euro.

Rozencwajg zieht einen Vergleich zu Uran: Nach der Fukushima-Katastrophe 2011 sank die Nachfrage nach Uran erheblich und die Lagerbestände stiegen an. Nachdem die ersten Minen schlossen, blieb die reduzierte Produktion aufgrund der hohen Lagerbestände lange unbemerkt, führte jedoch letztlich zu erheblichen Preisanstiegen. Der Rohstoffpreis erhöhte sich allein 2023 um mehr als 90 Prozent.

Rozencwajg ist der Ansicht: „Erdgas ist das neue Uran.“ Wie bei Uran könnte der Markt bald ein Defizit erleben, das aufgrund hoher Lagerbestände zunächst unbemerkt bleibt. Danach würde der Preis verzögert in einen starken Anstieg übergehen.

Rozencwajg weist darauf hin, dass die Gasproduktion in den zwei wichtigsten US-Schiefergasfeldern “Marcellus”, östlich von West Virginia, und “Haynesville”, zwischen Louisiana und Texas, ihr Plateau erreicht hat. Auch das Volumen des bei der Ölförderung anfallenden Gases wird nach und nach zurückgehen, während die Nachfrage aus der EU zunimmt. Die Konsequenz: „Aufgrund von Angebots- und Nachfragetrends steht das nordamerikanische Erdgas zum ersten Mal seit 20 Jahren vor einem strukturellen Defizit.“ Das bedeutet, dass das Angebot langfristig nicht ausreichen wird, um die Nachfrage zu erfüllen. 

Am Ende des vergangenen Jahres erreichte die US-Gasproduktion noch ein Allzeithoch. Der Energieträger wird nicht nur durch konventionelle Methoden gefördert, sondern auch mittels Fracking aus kleinen Poren in Schiefer- und Sandstein gewonnen. Schiefergas hat inzwischen die Gasproduktion in den USA übernommen.

Rozencwajg merkt an: „Die Schiefergasrevolution hat dem nordamerikanischen Erdgasmarkt einen strukturellen Überschuss beschert.“ Hätten die USA nicht auf die Schiefergasvorkommen zurückgreifen können, wären sie aufgrund des starken Rückgangs der konventionellen Erdgasförderung mit einer erheblichen Gasknappheit konfrontiert gewesen.

Schiefergasvorräte zu mehr als 50 Prozent erschöpft

Rozencwajg betont, dass die Schiefergasförderung ihren Höhepunkt erreicht habe. Er verweist auf das “Marcellus”-Feld, das größte Gasfeld in den USA und eines der größten weltweit. Laut seinen Auswertungen ist dieses Feld bereits zu mehr als der Hälfte ausgebeutet. Die Produktion nimmt ab, während gleichzeitig neue LNG-Exportkapazitäten aufgebaut werden. Rozencwajg warnt davor, dass eine Verdreifachung des US-Gaspreises der US-Industrie und den Verbrauchern Gesamtkosten in Höhe von einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts verursachen würde. Also fast 300 Milliarden Dollar. Die LNG-Ausfuhren trotz der Abhängigkeit Europas von US-Lieferungen zu begrenzen, um den Preisanstieg für heimische Firmen und Verbraucher zu dämpfen, könnte eine mögliche Reaktion der Regierung sein.

Doch andere Rohstoffanalysten sind skeptisch gegenüber Rozencwajgs Ansichten. Raphaël Gallardo, Chefökonom beim französischen Vermögensverwalter “Carmignac”, meint: „Die Theorie, dass die Gasproduktion bald einen Peak erreicht, ist mit Vorsicht zu genießen.“ Auch wenn das Produktionswachstum in den USA nachlassen sollte, sind im Nahen Osten zahlreiche neue Projekte geplant, die das globale Gasangebot erhöhen werden. Auch “UBS”-Analyst Giovanni Staunovo verweist auf potenzielle Produktionssteigerungen, beispielsweise in Katar, die ab 2026 zur Entspannung des Gasmarktes beitragen könnten. „Die Prognose, dass bei der Gasproduktion ein Peak erreicht wurde, gab es schon häufig, doch der Zeitpunkt wurde immer wieder verschoben.“ In den USA gibt es bislang keine Anzeichen für Produktionseinschränkungen.

Nachfrage bereits berücksichtigt

Trotz des gestiegenen Exportbedarfs seit dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 sind die Preise in den USA bisher nicht exorbitant angestiegen. Staunovo erklärt: „Die Exporte sind vielmehr ein wichtiger Faktor, warum die Preise in den USA nicht noch tiefer gesunken sind und keine maximale Speicherkapazität erreicht wurde.“

Diese steigende Nachfrage sei bereits im Marktpreis enthalten: Der für Januar 2026 angesetzte Terminkontrakt liegt derzeit bei über 14 Dollar pro Megawattstunde (4,18 US-Dollar pro Million BTU). Daher erscheint eine langfristige Investition in steigende Preise aus Anlegersicht wenig attraktiv. Hinzu kommen mehrere Risiken bei den Exporten. Der Beginn des Betriebs eines der sechs bedeutenden LNG-Terminals in den USA verschiebt sich: Wegen der Insolvenz eines beteiligten Investors wird das Golden Pass Terminal in Texas nicht wie ursprünglich vorgesehen in der ersten Hälfte des nächsten Jahres starten. Das Weiße Haus hatte Anfang des Jahres erklärt, keine neuen Flüssigerdgasprojekte mehr zu genehmigen. Obwohl ein Bundesrichter diesen Stopp im Juli aufgehoben hat, bestehen jedoch weiterhin regulatorische Risiken für neue Exportkapazitäten, so Staunovo.

Der Rohstoffanalyst zeigt sich dennoch vorsichtig optimistisch hinsichtlich des US-Gaspreises. Er rechnet mit moderaten Preissteigerungen. Besonders im Bereich der Künstlichen Intelligenz sieht der “UBS”-Analyst Nachfragepotenzial: „Eine Anfrage bei ChatGPT verbraucht das Vielfache an Energie im Vergleich zu einer Google-Suche.“ Dieser Mehrbedarf an Energie müsse abgedeckt werden.

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